Fluorocarbon
Fluorocarbon- kritische Beleuchtung eines Trends
Wer sich heutzutage mal quer durch eine Reihe von Angelfachartikeln liest wird mit Sicherheit über Fluorocarbon (kurz: FC) stolpern, jenes noch relativ neue Vorfachmaterial dem von Vielen wahre Wunder zugetraut und zugesprochen werden. Oft hört man auch das es ohne FC gar nicht mehr geht, wobei man doch auch schon früher gut gefangen hat und Gleiches von den mittlerweile längst etablierten geflochtenen Schnüren behauptet wird. Die Schnur sei unsichtbar, bringe mehr Bisse und Fische. Nur Gutes also und kein Platz für jedwede negative Eigenschaft. Grund genug das Phänomen mal unter die Lupe zu nehmen und auf Herz und Nieren zu prüfen. Damit es auch zu fundierten Ergebnissen kommt und nicht nur Behauptungen im Raum stehen, habe ich meinen guten Freund und Diplom-Physiker Christoph Schütter mit ins Boot geholt, der sich auch Versuche zum Thema einfallen ließ. Außerdem haben wir verschiedenste Fabrikate bei unterschiedlichen Methoden eingesetzt. Spinn- und Fliegenfischen, aber auch die Match- und Feederruten wurden mit FC montiert.
Eine meiner Grundvermutungen ist, dass es sich beim FC-Hype zu einem nicht geringen Teil um ein klassisches Trendfolgephänomen ohne jegliches Hinterfragen handelt und vielfach Werbung und Marketing einfach gut funktioniert haben. Hier wollen wir ansetzen und schauen, ob und in wiefern die vermeintlichen Vorteile auch wirklich welche sind und wo die Schwächen von FC liegen.
Zunächst muss man sich fragen was das überhaupt für ein Material ist und wo es auf einmal herkam. Fluorocarbone(FC) gehören zu Kunststoffen, die sich durch die gemeinsame Eigenschaft definieren, perfluorierte Kohlenwasserstoffe in ihren Moleküle zu enthalten. Entsprechend dieser losen Definition gibt es auch eine große Gruppe der FC mit den unterschiedlichsten Eigenschaften. Die wichtigsten gemeinsamen Eigenschaften sind die Tatsache, dass Fluorocarbone kein Wasser aufnehmen und gegenüber UV-Strahlen und aggressiven Chemikalien stabil sind. Darüber hinaus weisen sie auch eine hohe Temperaturfestigkeit auf und sind unbrennbar. Bekannt wurden die FC durch den Einsatz in der Teflonpfanne, die viele der genannten Eigenschaften zu nutzen weiß. Nur ein kleiner Teil der weltweit erzeugten FC wird für Angelschnüre produziert und es gibt nur wenige Hersteller, die sich auf dieses Gebiet spezialisiert haben. Zum besseren Verständnis, wie Fische Angelschnüre unter Wasser wahrnehmen bleibt uns ein bisschen Physik nicht erspart. Neben den schon erwähnten Eigenschaften besitzen diese FC eine Eigenschaft, die man als optischen Brechungsindex oder Brechzahl bezeichnet. Diese Zahl gibt an, um welchen Faktor die Vakuumlichtgeschwindigkeit in diesem Medium heruntergesetzt wird. Im Süßwasser (n 1,33) würde das Licht dann rund 225 500 km in der Sekunde zurücklegen. Die Brechzahl für Wasser ist zudem auch von der Wellenlänge des Lichts abhängig, so dass man sich bei weniger genauen Angaben oft auf eine mittlere Brechzahl bezieht.
FC besitzt einen wesentlich geringeren Brechungsindex, als herkömmliches Nylon (n 1,5). Je nach Hersteller wird ein Brechungsindex zwischen 1,4 und 1,43 angegeben. Manche Firmen behaupten aus diesem Grund heraus, dass die Schnüre aufgrund des geringeren Unterschiedes des Brechungsindex des Wassers zu FC viel weniger sichtbar als Nylonschnüre seien. Das ist leider aber nicht der Fall, denn aufgrund der geometrischen Form der Schnur und des zwar geringen, aber ausreichenden Unterschiedes im Brechungsindex zu Wasser kommt es zu einem Linseneffekt, der selbst FC-Schnüre alles andere als unsichtbar erscheinen lässt
Im Versuch wurden die Schnüre in eine Wanne aus Laborglas und Leitungswasser gebracht und fotografiert. Das Bild zeigt, dass sowohl Nylonschnüre, als auch FC-Schnüre im Wasser gleich auffällig sind. So genannte photochrome Einfärbungen, die die Sichtbarkeit über Wasser erhöhen, aber im Wasser verschwinden sollen, zeigen in dem lichtdurchfluteten Becken keine Wirkung. Eingefärbte Schnüre haben nun einmal eine Farbe und behalten auch diese. Sicher ist jedenfalls, das die „Unsichtbarkeit“ nicht begünstigt wird, weshalb transparente Schnüre immer noch die beste Wahl sind.
Dass FC-Schnüre in Bezug auf die optische Wahrnehmung durch Fische keine Wirkung zeigen erkennt man am Besten am Schattenbild der Schnüre. Fakt ist, dass Schatten nur durch undurchsichtige oder teilundurchsichtige Körper entstehen und die Schatten aller Schnüre deutlich zu sehen sind.
Lediglich mit der Abnahme der Schnurstärke fällt die Sichtbarkeit etwas geringer aus. Feiner fischen zahlt sich hier also aus. Dies wurde auch durch praktische Studien an klaren Gewässern belegt, wo Barsche auch öfter das FC Vorfach anstubsten, das ja laut Angelgeräteherstellern unsichtbar sein soll. Der Mythos der unsichtbaren Angelschur ist somit hinfällig.
-Eigenschaften, Abrieb, Dehnung: die erste auffällige Eigenschaft von FC ist die mangelnde Geschmeidigkeit wie sie viele Monoschnüre aus Nylon auszeichnet. Es wirkt, hart widerspenstig und spröde, dafür aber auch ziemlich dehnungsarm. Die oft so hoch gelobte Abriebfestigkeit kann ich so nicht unbedingt unterschreiben. Das Material neigt dazu sich wie Holz zum Teil spanweise abzuhobeln und faserig einzureißen. Ich empfand auch manche Perücken auf der Rolle als ungewohnt häufig und besonders störrisch zu entwirren. Die Schnur schien dadurch auch mehr Schaden zu nehmen.
-Vorteile: unbestritten ist neben der geringen Sichtbarkeit (je nach Färbung und Durchmesser) auch die Tatsache daß FC in der Regel sinkt. Das ist beim Nymphen- bzw. Nassfischen stromauf mit der Fliegenrute ebenso ein Vorteil wie auch beim UL-Barschangeln, wo der kleine Kunstköder nicht erst mit seinem Gewicht die Schnur runterziehen lassen muss, nur um dann vernünftig zu laufen. Wenn man sich sicher ist, daß keine Hechte vorkommen oder nicht zu erwarten sind, kann FC je nach Köder vertretbar sein. Von Vorteil ist auch die Steifigkeit des Fluorocarbon wenn es um das Renkenfischen mit der Hegene geht. Die „Zügel“ genannten Seitenarme stehen schön von der Hauptschnur ab und es besteht eine viel geringere Verhedderungsgefahr als bei entsprechender Nylonsschnur.
-vermeintliche Vorteile / tatsächliche Nachteile
Die absolute Unsichtbarkeit die bei der Verwendung als Raubfischvorfach und dann in enormer Dicke kaum mehr gegeben ist und zudem noch große Klemmhülsen, die dann breitgequetscht einer kleinen Münze gleichen und somit ihrerseits sehr sichtig sind. Fluorocarbon von 100 lb Tragkraft kann sicher schon was vertragen bevor es sich endgültig in Wohlgefallen auflöst, aber es ist dann sicher nicht unsichtbarer als ein vergleichsweise sehr dünnes Stahlvorfach. Nach längerer Nutzung wird das Material auch etwas „blind“ und zerschrammt wie ein länger im Schrank stehendes Weinglas, von „Unsichtbar“ keine Spur. Auch die Tragkraft ist im Vergleich zu Monoschnur eher mässig und die Knotenfestigkeit ebenso.
Die Abrieb- und Bissfestigkeit ist auch nicht so daß ich damit wirklich guten Gewissens auf Hecht angeln würde. Außer bei großen, sehr großen Ködern vielleicht und dann beim Speedtrolling, wo die Möglichkeit eines Kopf- und Überbisses schon reduziert wird, dann könnte man aber eigentlich auch gleich ohne Vorfach die Hauptschnur durchangeln. Am bedenklichsten empfinde ich komplett aus FC bestehende Naturködermontagen bei denen man ja weiß, dass der Hecht über seine Zähne garantiert direkten Kontakt mit dem Material haben wird. Selbst wenn ich an die ganze Geschichte glauben würde, fange ich dann lieber einen Hecht weniger mit Stahl, als das Risiko eines Abrisses mit einem mehrhakigen Köder einzugehen. Letztes Jahr musste ich mich mit einem 15- fädigen Titanvorfach in den USA belehren lassen, ich würde keinen Fisch damit fangen und ohne FC ginge nichts. Gut, am Ende des Tages fingen wir beide nichts, aber die zwei Nachläufer und den Fehlbiss hatte ich.
Bestärkend war auch der französische Angeljournalist in Irland der uns sagte dass man ohne FC in Frankreich gar nicht erst auf Hecht loszuziehen bräuchte. Er tat dies mit seinem Kollegen auch in Irland und der verlor dann nach langem Drill von 15 Minuten einen Großhecht mitsamt Köder und einem halben Vorfach, toll!
Fluorocarbon? Manchmal ja und gerne, aber nicht dogmatisch und unnötig riskant gebrauchen.
Uwe Pinnau und Chris Schütter